Nachklapp

Bericht Ingmar Volkmann Stuttgarter Zeitung

Brenz Band aus Ludwigsburg in Ecuador Tanz auf dem Vulkan

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In Ecuador trifft die Brenz Band aus Ludwigsburg auf ihr Gegenstück aus Quito, das Orquesta Sinamune. Beide Bands bestehen aus behinderten und nichtbehinderten Musikern. Ein Inklusions-Märchen.

Die Brenz Band im Beatles-Laufschritt in Quito Foto: Reiner PfistererEin Mitglied des Orquestas Sinamune bekommt von Horst Tögel (li.), Gründer der Brenz Band, und Harald Schmid in Ecuador eine Einführung in die Funktionsweise des Dudelsacks. Foto: Reiner Pfisterer
Das Orquesta Sinamune gemeinsam mit der Brenz Band in Aktion Foto: Reiner PfistererEinmarsch der Brenz Band im Altenheim in Ambato Foto: Reiner PfistererEgal an welcher Schule: die Schüler gingen auf die Brenz Band ab Foto: Reiner PfistererBegrüßt jeden einzelnen Takt persönlich: Ralf Dinter Foto: Reiner Pfisterer
Dudelsäcke erobern Ecuador: Jürgen Dietl bei der Arbeit Foto: Reiner PfistererThank you for the Music: Harald Schmid (li.) und Rudi Göttler nach dem Konzert Foto: Reiner Pfisterer
 
Foto: Reiner Pfisterer

Quito – Wenn es so weitergeht, speit der Vulkan Feuer. Der Cotopaxi, mit 5897 Metern einer der höchsten aktiven Vulkane der Welt, hat schon einiges erlebt. Alexander von Humboldt zum Beispiel hat versucht, diesen Riesen in Ecuador zu bezwingen, und musste der Legende nach mit blutenden Füßen vor dem Gipfel aufgeben.

Zwei Dudelsäcke aus Ludwigsburg aber, die um die Wette heulen, und zwei Frontmänner, die beide die ganz großen Rock‘n‘Roll-Gesten beherrschen und das Publikum mit Urschreien, einer Tröte und einem Akkordeon zum Tanzen bringen, das, ja das, hat auch der Cotopaxi noch nicht gesehen.

Ehe der Vulkan ausbrechen kann, weil er noch nie eine Band gehört hat, die alles in Grund und Boden spielt, wird er von Ralf „Ralfi“ Dinter besänftigt. Ralfi begrüßt strahlend jeden Ton mit dem Zeigefinger, seinem Taktstock. Strahlt man zurück, bekommt man einen in die Höhe gereckten Daumen und ein noch kräftigeres Strahlen retour.

2006 bekam die Brenz Band den Titel „Botschafter für den Frieden“ verliehen

Ralfi ist ein Emotionenverstärker, die ganze Band ein unbeschreiblicher Glücklichmacher. Überall, wo die Band bisher in Ecuador gespielt hat, erntete sie erst Staunen, dann Lächeln und schließlich Begeisterung. Da wird selbst einem der höchsten Vulkane der Welt warm ums Herz.

2006 bekam die Brenz Band von der Unesco in Paris den Titel „Botschafter für den Frieden“ verliehen. Eine Schweizer Ministerin hatte die Gruppe für die Auszeichnung vorgeschlagen, selbst kann man sich nicht bewerben. „Wir wurden beauftragt, zu zeigen, was Behinderte bei geeigneter Förderung leisten können. Diesen Gedanken sollen wir in verschiedene Länder der Welt tragen“, sagt Horst Tögel, der die Band vor genau 40 Jahren in Ludwigsburg gegründet hat.

Die Gruppe um Salvatore Pugliese, Harald Schmid, Rudi Göttler, Ralf Dinter und Bernd Schwab hat schon im Libanon, in China und in der Ukraine gespielt. Jetzt also Ecuador. In einem Altersheim in Ambato verwandelt sie traurige alte Menschen in grauen Jogginganzügen in lebendige Wesen. Reaktionen von ähnlichen Ausmaßen kennt man sonst eigentlich nur aus der Bibel, denn etwas überspitzt gesagt, passiert hier gerade Folgendes: Blinde können wieder sehen, Lahme wieder laufen und sogar tanzen, als die Brenz Band „Rosamunde“spielt.

Die Brenz Band in ihrer besten Rolle als Lebensfreude-Spender

Die Tanzfläche im Altenheim ist brechend voll. Bernd Schwab, die Rhythmusmaschine, hält eisern den Takt. Wer keinen Tanzpartner findet, lässt den Krückstock kreisen. Die musikalisch mitreißendste Anarchie seit Erfindung der Chaostheorie entsteht, als sich die Musiker unter die Tanzenden mischen. „Einer flog übers Kuckucksnest“ in einer schwäbisch-ecuadorianischen Variante. Jürgen Dietl schiebt eine Dame im Rollstuhl über den Dancefloor: die Brenz Band in ihrer besten Rolle als Lebensfreude-Spender.

Wie in jeder guten Patchwork-Familie gibt es auch bei der Brenz Band zwei Väter, im Fall der Musiker ist das neben Horst Tögl Jürgen Dietl. Mit seiner tiefen Stimme und seiner riesenhaften Größe ist er für die Buben in der Band ein wichtiger Fixpunkt. Gemeinsam mit seiner Frau Gitte, die auch in der Band spielt, hat er die Reise organisiert.

In den vergangenen vier Monaten war das Ehepaar quasi Tag und Nacht mit den Vorbereitungen beschäftigt: Spenden einsammeln, Flüge buchen, gegen die Nervosität ankämpfen. Die Route auf dieser Reise stammt von Siegfried Rapp, Honorarkonsul der Republik Ecuador, der mit einer zweiten Delegation aus Ludwigsburg um Oberbürgermeister Werner Spec in Sachen Umweltschutz parallel zur Brenz Band durch Ecuador reist. Das Ziel: eine Klimapartnerschaft zwischen Ludwigsburg und Ambato zu initiieren.

Gestartet als Ludwigsburger Schulband, gelandet als Unesco-Botschafter

Nicht in Ambato, sondern in der Hauptstadt Quito erreicht das ecuadorianische Inklusionsmärchen der Brenz Band einen ihrer Höhepunkte, als die Musiker gemeinsam mit dem Orquesta Sinamune auftreten. Diese Gruppe besteht genau wie die Brenz Band aus behinderten und nicht behinderten Musikern. Wobei diese Feststellung zumindest auf die Ludwigsburger nicht ganz zutrifft, wie Bassist Gerhard Ruhl konkretisiert: „Die eine Hälfte von uns ist behindert, die andere behauptet, sie sei es nicht.“

Das Orquesta Sinamune, bei der Probe mittags noch wie der örtliche Fußballclub im Trainingslager kollektiv im Jogginganzug gekleidet, ist abends märchenhaft herausgeputzt. Zwei Paare, die Damen feengleich in wunderschönen Kleidern, tanzend. Dann: „My way“, anfangs in einer Downtempo-Bläser-Version, am Ende in der Breitbild-Orchester-Variante. Könnte auch der Soundtrack zu Horst Tögels Lebenswerk, zur Geschichte der Band sein, davon, wie man unbeirrt seinen Weg geht. Gestartet als Ludwigsburger Schulband, gelandet als Unesco-Botschafter.

Sinamune wurde 1994 ins Leben gerufen von Edgar Palacio, einem von nur drei Künstlern, die in Ecuador den Titel Staatsmusiker tragen. Palacio ist genau so alt wie Horst Tögel, beide wurden 1940 geboren. Das gemeinsame Konzert der beiden Gruppen in Quito ist, man kann es nicht weniger pathetisch sagen, ergreifend. Auch die Musiker der Brenz Band sind begeistert von ihren musikalischen Gastgebern. „Ich habe noch nie eine so gute Band wie Sinamune gehört“, sagt Horst Tögel zum Ende des Auftritts auf der Bühne, „deshalb habe ich der Unesco vorgeschlagen, dass ihr auch Botschafter für den Frieden werden sollt.“ Großer, großer Jubel. Wenn es so weitergeht, bricht der Cotopaxi vor Neid genau jetzt aus, weil er noch nie so viele Glückshormone in seiner Nähe erlebt hat.

Die Rolling Stones der Inklusion sind im Haus

Im weiteren Verlauf der Reise spielt die Band zwei Konzerte pro Tag, ein knüppelhartes Pensum. Nach dem vierten Konzert an einer Schule schmeißt Jürgen Dietl CDs ins Publikum, die Schüler antworten mit einem Kreischen in Orkanstärke. Es folgt „Freude schöner Götterfunken“ mit zwei Dudelsäcken. Die Rolling Stones der Inklusion sind im Haus.

Nach dem Konzert gibt es Saft und Gebäck in dem Klassenzimmer, in dem die Schüler sonst Deutsch pauken. Ein großer Teil der Reisegruppe hat mittlerweile länderspezifische Krankheiten und Wehwehchen, bedingt durch ein konstant niedriges Schlaflevel. Selbst Jürgen Dietl, dieser Riese, sehnt sich mittlerweile nach ein wenig Ruhe, nach einem Nachmittag zum Durchschnaufen. „Das ist die letzte große Reise der Brenz Band“, sagt Dietl, macht eine längere Pause, um dann doch noch ein wenig zurückzurudern: „Das haben wir aber nach China auch schon gesagt.“

Der Weg der Brenz Band ist eben noch lange nicht zu Ende.

Anmerkung: Fotograf Reiner Pfisterer und StZ-Titel-Autor Ingmar Volkmann haben die Brenz Band auf Einladung der Gruppe begleitet mit dem Ziel, die Tournee und 40 Jahre Band in einem Buch zu würdigen.


Bericht Andreas Schmaltz Ludwigsburger Kreis Zeitung

Ludwigsburg | 02. November 2017
 

Die Ludwigsburger Brenz Band grüßt aus Ecuador

Die Brenz Band aus Ludwigsburg ist wieder einmal auf einer ihrer legendären Konzertreisen. Anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens tourt die inte-grative Band in dieser Woche durch Ecuador. Mit dabei ist eine Ludwigsburger Delegation.

Die Brenz Band bei ihrem ersten Auftritt in der Hauptstadt Ecuadors Quito im Casa de la Cultura.Foto: Andreas Schmaltz

Die Brenz Band bei ihrem ersten Auftritt in der Hauptstadt Ecuadors Quito im Casa de la Cultura.Foto: Andreas Schmaltz
 

Ankunft auf 2860 Metern über dem Meeresspiegel. Endlich in Quito, Hauptstadt Ecuadors und erste Etappe der Reise. Viertel vor 9 Uhr fährt der Bus vor dem Hotel der Brenz Band vor. Die Höhensonne brennt auf der Haut. Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 wird verteilt. Der Tag beginnt mit einer Bustour durch die Stadt. Schon am Nachmittag wird die Brenz Band ihr erstes Konzert spielen. Der Bus fährt vorbei an dem Casa de la Cultura Ecuatoriana, Sitz des wichtigsten Theaters der Stadt und der erste Spielort der Brenz Band in Südamerika. Zwischen Kirchenbesichtigung und Kakao geht die Delegation auf Entdeckungstour. Den Vertretern aus Ludwigsburg geht es um den internationalen Austausch und um eine mögliche Klimapartnerschaft zwischen der ecuadorianischen Stadt Ambato und Ludwigsburg.

Viel Zeit bleibt nicht, denn schon ab 15 Uhr beginnen die Proben. Der ecuadorianische Honorarkonsul und Ludwigsburger Siegfried Rapp hat seine Mühe, die Gruppe im Zeitplan zu halten, die neugierig durch die Stadt schlendert. Es ist eine beeindruckende Kulisse: Quito scheint am Puls der Vulkane zu leben. 14 Vulkane umgeben die Stadt. Der über 4000 Meter hohe Pichincha, der Hausberg von Quito, war zuletzt 1999 aktiv. „Wir leben mit dem Vulkan und müssen eine gute Beziehung zu ihm haben“, erklärt die Reiseführerin. Überall ist sattes Grün zu sehen. Die Pflanzen stehen in voller Pracht. Ecuador habe zwei Jahreszeiten: Trocken und nass, scherzt die Reiseführerin. Leicht verspätet kommt die Delegation im Casa de la Cultura Ecuatoriana an. Das ecuadorianische integrative Orchester Sinamune hat bereits mit dem Aufbau der Instrumente im Foyer begonnen. Es ist der erste von mehreren gemeinsamen Auftritten. Bis zum Beginn herrscht geschäftiges Treiben. Instrumente werden gestimmt. Die Band spielt sich ein. Dann öffnet das Casa de la Cultura seine Tore. Trotz des einsetzenden Regens, der lautstark auf das Dach des Konzerthauses prasselt, sind die Stühle schnell besetzt. Den Anfang macht die Musikgruppe Sinamune. Die Musiker sind elegant in Violett und Weiß gekleidet. Ihr Gründer Edgar Palacios ist mit 80 Jahren noch selbst an der Trompete dabei. Sinamune führt durch die Vielfalt lateinamerikanischer Musik, immer begleitet durch die Tänzer der Gruppe. Derweil machen sich die Mitglieder der Brenz Band zum Auftritt bereit. Unter Dudelsackklängen betreten sie die Bühne. Jetzt sind sie dort angekommen, wo sie nach der langen Reise hingehören. Mit ihrem unverwechselbaren Stil ernten sie vor dem ecuadorianischen Publikum Applaus.

In einer kurzen Pause berichtet der Gründer der Brenz Band, Horst Tögel, von den Anfängen der Gruppe. Er erzählt von der Schwierigkeit der Schule für Bildungsschwache in der Brenz-Straße, von den Nachbarn akzeptiert zu werden und von der Idee, sie mit Musik für sich und die Kinder zu gewinnen. Dann die große Überraschung. „Ich habe über die Jahre viele Bands mitbegründet“, sagt Tögel. „Aber keine ist so gut wie Sinamune.“ Daher habe er einen Brief an die Unesco geschrieben, in dem er vorschlägt, dass auch Sinamune wie die Brenz Band als Künstler für den Frieden ausgezeichnet werde. „Ich bin sicher, dass es klappt“, betont er und erhält dafür von den Anwesenden Jubel und Applaus.

Schließlich stehen die Ludwigsburger Musiker nach zwei gemeinsamen Stücken allein auf der Bühne und spielen „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Nachdem auf der Bühne getanzt wurde und Edgar Palacios auf seiner Trompete mitklatschte, kommt das Konzert zum Ende.

Für die Ludwigsburger Delegation geht es etwas müde, aber hoch zufrieden zurück in das Hotel. Denn gleich am nächsten Morgen geht die Reise weiter auf der legendären Panamericana in die Stadt Ambato.

 
Andreas Schmaltz